Südamerika ist ja ziemlich bekannt für seinen Karneval, besonders in Rio de Janeiro. Allerdings wird auch ausserhalb Rios gefeiert, eigentlich so ziemlich überall. Das grösste Fest Boliviens steigt in Oruro, einer Stadt die meines Wissens sonst nicht so viel zu bieten hat. Aber dieses Wochenende waren 50.000 Tänzer und Unmengen von Zuschauern da. Einer davon war ich.
Wir sind Freitagabend in Sucre in den Bus gestiegen und kamen am Samstag um 5 Uhr morgens an. Wir haben unser Gepäck abgegeben, gefrühstückt und uns fertig gemacht zum Aufbruch. Wir hatten Sitzplätze auf einer der vielen Tribünen am Rande des Weges der Parade gekauft, wohin wir uns begaben. Schon morgens war alles voller Menschen und auch die Schnapsleichen als Begleiterscheinungen grosser Feste, waren noch da.
Wie es in Bolivien (und wohl auch weiten Teilen Südamerikas) üblich ist, war das ganze sehr feucht. Besonders wir Gringos sind beliebte Ziele für die Angriffe der anderen. Man hat Wasserpistolen und vor allem -bomben und einen speziellen Schaum aus Sprühdosen. Dieser Schaum ist ungiftig, reizt weder Haut noch Augen und löst sich nach ein paar Minuten von selbst quasi rückstandslos auf. Die Dose ist vergleichsweise teuer, sie kostet 10 Bolivianos (etwa einen Euro), wofür man auch etwa 60 bis 70 fertige Wasserbomben bekommt. Trotzdem hat fast jeder eine solche Dose und besprüht damit nach Lust und Laune die ihn Umgebenden. Wasserbomben werden auch reichlich verbraucht, ich habe noch nie einen grösseren Einsatz erlebt. Viele verwenden sie auf kurze Distanz, zerdrücken sie im Nacken oder werfen auf wenige Meter. Letzteres ist meist sehr schmerzhaft. Meistens werden Wasserbomben aber ganz konventionell geworfen. Auf den Tribünen gibt es richtige Schlachten, da sie zu beiden Seiten der Parade aufgebaut sind. Man bewirft die gegenüberliegende Seite und macht eigentlich so ziemlich alles und jeden nass. Leider geht es nicht immer allen nur ums nass machen, manchmal geht es auch darum den anderen zu treffen. Zu diesem Zwecke wird flach auf Kopfhöhe und sehr fest geworfen. Am Rücken sind diese Treffer schmerzhaft, am Kopf, besonders als Brillenträger, einfach nur unerträglich. Aber das gehört wohl zum Karneval dazu. Auch der Schaum kann unangenehm sein, wenn man ihn ins Gesicht bekommt. Wenn man von einem Moment zum anderen nichts mehr sieht oder hört, ist doch ziemlich erschreckend. Ausserdem wird man von all dem Spass sehr sehr nass, da hilft auch das Regencape, das viele tragen, wenig, was nur bei Sonne Spass macht, nicht allerdings wenn diese Weg ist. Zum Glück hatten wir am Wochenende sehr viel Sonne und nur abends wurde es kalt. Dafür aber reichlich.
Die Parade begann zwischen sieben und acht Uhr morgens und dauerte länger als bis zwei Uhr nachts. Die Tanzgruppen haben alle eine Band mit Posaunen, Trompeten, Tuben, Klarinetten, Pauken, Snare-Drumms, Becken und einem Tuba-ähnlichem Instrument. So eine durchschnittliche Band besteht aus 60 Leuten. Jede Gruppe hat nur ein Lied und die meisten Gruppen das gleiche, sodass man irgendwann mitsingen konnte. Zusätzlich gibt es dann die Tänzer. Diese Teilen sich in verschiedene Arten ein. Es gibt die Teufel, die sehr grosse, aufwendige, bunte, runde Kostüme haben und sehr nach Kinderschreck aussehen. Sie tanzen ohne zu springen oder ähnliches, sie bewegen sich eher bedrohlich. Dann gibt es noch die Männer in Kostümen, die an Reiter oder sowas erinnern. Sie tanzen sehr schwungvoll und springen viel durch die Gegend. Besonders bei unseren Mädels sehr beliebt. Aber auch für uns Kerle gabs was zu sehen. Die obligatorischen Tänzerinnen in kurzen Röcken. Die eine Hälfte in Oruro hatte Masken auf, die eigentlich nur ein grinsendes Gesicht zeigten. Den Sinn dieser Masken habe ich noch nicht durchschaut. Diese Tänzerinnen tanzen sehr ruhig, bewegen sich fast nicht. Ist aber auch mit diesen Kostümen eher schwierig. Kurze Röcke und hohe Schuhe sind nicht die optimale Sportkleidung. Dann gibt es noch Frauen, die in traditionellerer Kleidung auftreten, dafür aber mehr tanzen. Ausserdem gibt es von Gruppe zu Gruppe noch unterschiedliche Figuren. Bären, Yetis, Hermesfiguren etc. Schaut am besten bei Google nach Bildern des Karnevals, das ist am eindrücklichsten. Gute Suchbegriffe sind "carnaval oruro" oder "carnaval espuma", mit denen bekommt ihr einen Eindruck.
Wenn man an diesem Wochenende in Oruro übernachten will, dann muss man sehr früh buchen, will man sich nicht dumm und dämlich zahlen, sollte man nicht hinfahren. Aber wie immer sind Connections eine gute Alternative. Wir haben mittags bei unserer Spanischlehrerin hier angerufen und hatten ne Stunde später einen Schlafplatz für nur 35 Bolivianos, auch unter normalen Umständen ein akzeptabler Preis. Die Tochter unserer Spanischlehrerin tanzt in einer Tanzgruppe in Oruro. Diese Gruppe hatte eine Sporthalle zur Unterkunft gemietet, in der wir dann auch schlafen konnten. War dann halt eine Nacht ohne Decke auf dem Boden, aber mehr als ich erwartet hatte. Ausserdem kamen wir eh erst so gegen 5 uhr ins Bett und standen um 9 Uhr schon wieder an der Plaza in der Wasserschlacht.
Wir haben den ganzen Tag damit verbracht uns den Umzug anzuschauen und andere Freiwillige zu suchen. Zwischendurch haben wir uns mal in ein Café zurückgezogen, uns getrocknet und erholt. Abends haben wir uns dann mit unserer Spanischlehrerin plus Familie getroffen, sind erst essen gegangen und dann auf ein Fest ihrer Tanzgruppe. Es gab eine der bekanntesten Bands Boliviens. War recht lustig. Ich weiss nicht, ob die Band gecovert hat oder nicht, aber ich kannte so ziemlich jedes ihrer Lieder, ohne wirklich mal absichtlich bolivianische Musik gehört zu haben. Auf jeden Fall haben sie gute Stimmung gemacht und der Bassist war einfach nur gut. Toller Bass und guter spieler, leider vom Mischer absolut getötet. Schade.
Wir haben eine Auszeit von der Party genommen und uns nocheinmal an die Plaza begeben, wo wir ein paar andere Freiwillige getroffen haben. Mitten in der Nacht wurde dort immernoch getanzt, obwohl der Grossteil der Zuschauer nur noch da war, weil er zu besoffen war, sich zu bewegen. Trotzdem haben sich die Tänzer noch sehr viel Mühe gegeben und ordentlich getanzt. Als wir dann nachts/morgens schlafen gehen wollten, standen wir ersteinmal vor der Tür, weil der Nachtposten die Tür abgeschlossen hatte und die Klingel nicht hörte. Also mussten wir erst seinen Chef anrufen, der uns dann die Tür öffnete.
Am nächsten Morgen wurden wir dann von den gut gelaunten Tänzern geweckt, die die Reste des Rums vernichteten und dabei lautstark durch die Gegend kommunizierten. Den zweiten Tag verbrachten wir dann mitten im Geschehen, dort wo die Parade auf die Plaza kommt und ein Stück weiter in der Mitte der Plaza. Dort war die schlimmste Wasserschlacht. Etwa im Sekundentakt flogen die Wasserbomben über die Strasse und wenn mal zwischen den Tanzgruppen ein Lücke war, stürmten sofort ein paar Leute über die Strasse und schäumten unter schwerem Unterstützungs- und Abwehrfeuer die andere Seite ein. Sowas macht die ersten drei bis vier Stunden Spass, danach war ich eigentlich immer sehr genervt davon.
Nachdem wir zwei Tage gefeiert hatten ging dann unser Bus zurück nach Sucre. Als wir in die Sporthalle wollten um unser Gepäck zu holen. Da war leider die Tür abgeschlossen und der Mensch mit Schlüssel lag besoffen in der Ecke, bewegte sich nichtmehr und wusste nicht, wo der Schlüssel sein könnte. Da die Tänzer sich umziehen mussten (ihre Vorführung begann um elf Uhr nachts, es dadurch eilig hatten und auch schon das eine oder andere Bier getrunken hatten, war dann die Tür irgendwann irgendwie offen. Die Steinbrocken, die in Höhe des Schlosses in der Wand fehlten, fielen fast nicht auf.
Die Bilanz von ungefähr 15 Freiwilligen in Oruro: 4 gestohlene Handys, eine verschwundene Kamera, 15 Stunden Schlaf, 60 Liter Bier, 1500 Wasserbomben geworfen, 3000 Wasserbomben abbgekommen, 5 Dosen Schaum versprüht, 15 Dosen Schaum abbekommen und etwa 30 Hamburger gegessen.
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